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Wir wissen, dass die ganze Bubble um Querdenken voll von verschwörungstheoretischen Inhalten ist. Aber was macht Verschwörungstheorien eigentlich so anziehend?
Es gibt mehrere Funktionen, die Verschwörungstheorien erfüllen.
Eine ganz Wichtige davon ist die Komplexitätsreduzierung: die Welt wird sehr schnell immer komplizierter, unübersichtlicher und unberechenbarer. Theorien, die einfache Erklärungen liefern, mit einer leicht nachvollziehbaren Logik und einleuchtenden Begründungen, bringen da Erleichterung.
Eine Welt voller komplexer Probleme, die sich aus unzähligen Einflüssen ergeben, die sich teilweise jeder Kontrolle entziehen und die einen hilflos zurücklassen können – in dieser Situation bieten Verschwörungstheorien das Gefühl, die Welt doch verstehen zu können.
Viele sind mit der Gewissheit aufgewachsen, dass bestimmte Privilegien ihnen einfach zustehen – dadurch, dass sie in einem reichen Land geboren wurden, dadurch, dass sie hart gearbeitet haben usw. Die Gegenwart ist aber geprägt vom Verlust einiger dieser Privilegien. Das betrifft zum Beispiel die finanzielle Sicherheit, die nicht mehr so gegeben ist wie früher. Oder auch den Verlust von Traditionen, religiöser Gewissheiten, patriarchaler Strukturen und Rollenbilder.
Das alles geschieht durch gesellschaftlichen und politischen Wandel, Globalisierung, die Klimakatastrophe, durch das Fortschreiten des Kapitalismus in alle gesellschaftlichen Bereiche – und aktuell ganz konkret durch die Anforderung, sich zugunsten der Gemeinschaft in einer Pandemie anpassen zu sollen und zurückzustecken.
Die Beobachtung, dass mir meine Privilegien und vermeintlichen Sicherheiten durch die Finger rinnen, kann sich sehr bedrohlich anfühlen. Viele fühlen sich ausgeliefert. Viele empfinden es als Bedeutungsverlust – was sind wir eigentlich noch wert, wenn uns dies und das genommen wird? Viele sind einfach maßlos überfordert und haben Schwierigkeiten, sich zu arrangieren. Manche spüren Existenzangst, wenn sie ihre Sicherheit aus Umständen gezogen haben, die jetzt wackeln. Und selbstverständlich sind die politischen Antworten in dieser komplizierten Welt zunehmend kontrovers. Das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, führt zu Wut und Hilflosigkeit.
Eine Verschwörungstheorie beinhaltet die Hoffnung auf einen Ausweg aus dieser Überforderung. Sie bedeutet auch das Gefühl der Selbstermächtigung, der persönlichen Autonomie. Für den Moment kann sie den eigenen so empfundenen Bedeutungsverlust heilen und die Hilflosigkeit auflösen. Das Angebot lautet: „du kannst selbst herausfinden was falsch läuft, du musst dich auf niemand anders verlassen als auf dich selbst – und du musst auch nicht hilflos zusehen. Du kannst sogar selbst etwas dagegen tun.“
Ein weiterer Faktor ist das Misstrauen gegenüber Expertenwissen. Das Internet bietet eine Fülle an Informationen. Beliebiges „Wissen“ und Behauptungen stehen scheinbar gleichberechtigt neben erarbeitetem Expertenwissen. Was emotional aufgeladen ist, was einen Nerv trifft findet unabhängig davon, ob es überprüfbar ist, Verbreitung.
Dieser Umstand trifft auf die Tatsache, dass viele Menschen keinen oder unzureichend Zugang zu Medienbildung bekommen haben. Es fehlen Kenntnisse über selbständige Quellenprüfung, darüber, wie wissenschaftliches Arbeiten funktioniert, wie Wissensbildung passiert, wie gute Recherche geht. Und generell gibt es eine nachvollziehbare Unsicherheit im Umgang mit dem Internet, wenn man eben nicht damit aufgewachsen ist.
Algorithmen sind ein Dreh- und Angelpunkt des Internet.
Themen, die von verschwörungstheoretischen Inhalten besetzt sind – selbst wenn es zunächst nicht so wirkt – landen entsprechende Treffer. Wenn man etwa nach „Impfung“ googelt, bekommt man auch diese Angebote. Klickt man drauf, werden weiterführende Angebote mit ähnlichem Inhalt das Bild bestätigen. Das nennt man „Confirmation Bias“. Eine Idee oder Meinung verfestigt sich aufgrund vieler vermeintlicher „Beweise“. Der Algorithmus lädt dazu ein, weiter in die Welt einzusteigen, die Erklärungen für alles Mögliche liefert.
Diese sogenannte Filterblase wird stark verschärft in dem Moment, in dem pandemische Maßnahmen und/oder Meinungskonflikte zu zunehmender sozialer Isoliertheit führen. Die sozialen Kontakte verengen sich, es wird ausgewichen auf Gruppierungen und Plattformen im Internet, die man sich ja dementsprechend aussuchen kann, ob sie das eigene Weltbild, das eigene „Gefühl“ stützen und legitimieren.
Derselbe Effekt wirkt auch auf Demonstrationen mit Corona-Bezug. Ist man einmal eingestiegen, wirkt der Confirmation Bias wieder und wieder.
Und es wird noch komplizierter.
Seit einigen Jahren wird gezielt Misstrauen gestreut gegenüber faktenbasiertem, überprüfbarem und anerkanntem Wissen. Erinnert ihr euch noch daran, als Donald Trump angefangen hat, alle möglichen Informationen, die ihm nicht gepasst haben, als „fake news“ abzustempeln und damit zu delegitimieren?
Die AfD hat das übernommen. „Lügenpresse“ wurde in Deutschland zum Schlagwort.
Die Unsicherheit wurde damit auf die Spitze getrieben: man kann alles anzweifeln, und anerkanntes Wissen ist genauso wenig wert wie eine bloße Behauptung.
Durch diese Aushöhlung dessen, was „Fakten“ sind, wird der Boden bereitet dafür, dass jede Behauptung salonfähig wird. Es ist plötzlich egal, wer sie aufstellt, wo sie herkommt, welche Interessen dahinterstehen. Es zählt einzig und allein, ob sie das eigene Gefühl bestätigt. Ob sie zur eigenen Meinung passt.
Haben wir dann noch Prominente Vertreter:innen als Multiplikatoren, ist das der perfekte Boden, auf dem Verschwörungstheorien aufblühen können.
Damit kommen wir zur nächsten Frage.
Welche Verschwörungstheorien gibt es und wo kommen sie her?
Natürlich können wir hier nicht die gesamte Bandbreite diskutieren. Es gibt jedoch einige zentrale, die wir uns hier genauer ansehen wollen.
Die „Ritualmordlegende“ ist Grundlage für viele weitere Verschwörungserzählungen. Sie stammt aus dem Mittelalter und wurde immer wieder benutzt, um Hass gegen Juden zu schüren.
Die Legende gibt es seit Jahrhunderten in vielen Ausprägungen, doch im Kern geht es immer darum, dass eine jüdische Elite in einem grausamen Ritual das Blut Unschuldiger trinkt oder anderweitig benutzt. Es wird eine zutiefst ablehnenswerte, monströse „Elite“ erfunden, welche in ihrer Gier nicht einmal vor Kindern Halt macht, die man also ohne Wenn und Aber bekämpfen muss.
Diese perfide, jahrhundertelang immer wieder in Europa aufgewärmte Geschichte ist aktuell Vorbild für die „Adrenochrom“-Erzählung, die in Deutschland 2020 und 21 unter anderem durch Xavier Naidoo besonders verbreitet wurde.
Diese Variante besagte, dass eine Elite aus „pädophilen“ Schauspieler:innen und Politiker:innen unschuldige amerikanische Kinder in einem Keller gefangen halte, um ein Mittel (Adrenochrom) herzustellen, mit dem sie ewiges Leben oder ewige Jugend erreichen wollten.
In den USA gibt es diese Story seit 2016. Sie wurde in Zusammenhang mit „QAnon“ groß, ein aus dem Internet geborener, rechtsextremer Kult, der mittlerweile auch hier ein Begriff ist. Donald Trump wurde damals als der große Befreier stilisiert, der im Kampf gegen die Demokraten die Kinder befreien würde.
Dazu gehört auch der Begriff des „deep state“ – die Behauptung, die politischen Eliten seien alles verschworene Pädophile, denen man das Handwerk legen muss.
Inhalte aus dem QAnon-Universum und von QAnon-bezogenen, rechtsextremen Telegramgruppen wurden und werden regelmäßig von den Administrator:innen in den Landsberger Querdenker- Gruppen geteilt und gehören dort mittlerweile zum „Grundwissen“. Jede:r, der oder die sich länger in diesem Kreis bewegt, wird früher oder später damit in Kontakt kommen.
Es sind moderne Formen des Antisemitismus, der sich nicht mehr pauschal gegen „die Juden“ richtet, sondern indirekt in Anspielungen Bedrohungsszenarien errichtet, die im Kern dann doch auf eine jüdische Verschwörung herunterzubrechen sind. Die Feinde sind nicht immer, aber sehr oft jüdisch – wie George Soros oder „die Rothschilds“. Ohne Hintergrundwissen und eingebettet in einen guten „Confirmation Bias“ ist diese Form aber mitunter schwer zu erkennen, zumal sich die Theorien in Deutschland zwar auf die antisemitischen Ursprünge zurückführen lassen, sie aber meist nicht das zentrale Thema sind.
Richtig zur Sache geht es bei der Theorie des „Großen Austausches“/“Bevölkerungsaustausches“. Offen an rechtsextreme Narrative anknüpfend geht es hier darum, dass das deutsche Volk durch Geflüchtete ersetzt werden solle. Ein Grund: die niedrige Geburtenrate in Deutschland und die Geflüchteten, die seit Jahren an Europas Grenzen verzweifelt um Einlass bitten. Die Theorie vom Bevölkerungsaustausch oder der Umvolkung wurde bereits von vielen AfD-Politiker:innen und anderen Rassisten und Nazis aufgegriffen und ist dort sehr verbreitet.
Auch in den Landsberger Telegramgruppen wird sie immer wieder hervorgeholt.
Es ist eine Theorie, die die schlimmsten Ängste einiger Menschen instrumentalisiert: die Existenzangst. Die Angst vor Bedeutungsverlust, die Angst vor dem Verlust traditioneller Werte, dem Verlust sicher geglaubter Privilegien und dem selbst so empfundenen Status als „Mittelstand“.
An diese Angst wiederum knüpft dann auch die Behauptung an, die Covid-19-Pandemie sei eine Erfindung der Eliten, um einen „Great Reset“ realisieren zu können. Die Coronamaßnahmen seien vorgeschobene Freiheitseinschränkungen, um die Bevölkerung langsam an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen. Die Impfung sei in Wirklichkeit ein Mittel, um die Bevölkerung weiter zu reduzieren. Impfen ist Mord. Und so weiter. Im Zeitverlauf und je nachdem, wer sie verbreitet, existieren unterschiedliche Ausprägungen dieser Theorie.
Ein wichtiges Merkmal all dieser Theorien ist, dass sie sehr anpassungsfähig sind. Die ungeheuerlichen Behauptungen und Prophezeiungen sind nie eingetroffen, aber da man sich von überprüfbarem Wissen ohnehin befreit hat, ist es kein Problem, die Theorie immer wieder an aktuelle Entwicklungen anzupassen. Trump, der große Retter, hat den Sumpf doch nicht ausgetrocknet? Na, dann ist das eben sein Plan für die Zeit seiner Wiederwahl. An der gefühlten Gültigkeit der Behauptung ändert so ein Bisschen Realität nichts.
Weitere immernoch aktuelle Theorien sind etwa die vom Chip in der Covid-Impfung oder auch die Geschichte von den Chemtrails, von der ich schon seit 10 Jahren dachte, kein Mensch würde auf sowas mehr hereinfallen – Rolf Kron verbreitet diese auch im Jahr 2022 weiter.
Damit sind wir bei der letzten Frage. Wer profitiert von Verschwörungstheorien?
Zum einen profitieren natürlich die Anhänger:innen, die sich als Eingeweihte, ja als Kämpfer:innen und Auserwählte fühlen können.
Zum anderen profitieren alle, die die allerhand damit einhergehenden Gelegenheiten zu nutzen wissen, Geld zu verdienen: durch Fake-Sammelklagen, durch falsche Atteste, durch Scheinimpfungen, durch Spendenaufrufe. Das Querdenken-Universum ist voll von diesen schamlosen Profiteur:innen.
Des Weiteren profitieren all jene, die von der Destabilisierung der Gesellschaft und der Destabilisierung der Demokratie profitieren: Rechtsextreme.